Growth Accounting II – Beitrag der Produktivität zum Wachstum

Nächstes Kapitel in der Analyse der Produktivität

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Unsere sozio-demographische Analyse (Growth Accounting I) zeigt, dass die Schweizer Volkswirtschaft in den kommenden 10 Jahren das Arbeitsvolumen nur noch wenig steigern kann (+0.2% p.a.). Das BIP pro Einwohner wird ohne Produktivitätssteigerungen jedes Jahr um 0.6 Prozent sinken. Antworten auf die Frage, wie wir pro Arbeitsstunde mehr Wertschöpfung generieren können, sind deshalb zentral. Sie entscheiden darüber, ob wir uns auch in Zukunft noch die gleiche Qualität von Altersvorsorge, Gesundheitssystem oder sozialer Sicherung werden leisten können. 

Der Hauptfokus in diesem Beitrag ist die Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Diese stellt das Verhältnis von volkswirtschaftlichem Mehrwert (Wertschöpfung) und der Menge an «Arbeit» dar, welche für die Produktion von Waren und Dienstleistungen benötigt wird. Arbeit kann man dabei entweder messen als Zahl der beschäftigten Personen, als vollzeitäquivalente Stellen oder als Arbeitsstunden. Die Arbeitsstunden sind (insbesondere bei internationalen Vergleichen) das beste Mass, denn sie sind sowohl um die Teilzeitstruktur der Beschäftigten als auch um die Unterschiede in der Regelarbeitszeit bereinigt. 

Zwischen 2012 und 2022 konnte die reale Stundenproduktivität in der Schweizer Wirtschaft um durchschnittlich 1.3 Prozent pro Jahr gesteigert werden. Damit lag das Produktivitätswachstum in der Schweiz oberhalb des OECD-Durchschnitts (1.0%), der USA (+1.1%) und der EU27 (+0.9%) oder Japan (+0.8%). Es gab zwar zahlreiche OECD-Länder mit höherem Wachstum, doch mit Ausnahme von Irland handelt es sich dabei ausnahmslos um Länder, welche ausgehend von einem deutlich tieferen Niveau der Leistungsfähigkeit ihre Produktivität gesteigert haben (-> Catch-Up-Effekte). Hierzu gehören auch Israel oder Südkorea, die häufig als Paradebeispiele eines technologiegetriebenen Wachstums genannt werden. In beiden Ländern lag das Niveau der Stundenproduktivität im Jahr 2022 zu Kaufkraftparitäten bewertet mehr als 40 Prozent unterhalb des Schweizer Niveaus. 

Quelle: OECD, BAK Economics

Was das Produktivitätsniveau angeht, liegt die Schweiz mit rund 100 US Dollar Wertschöpfung je Arbeitsstunde (PPP bereinigt) weltweit auf Rang fünf. An der Spitze liegen drei Länder, die aufgrund von Sondereffekten nicht wirklich vergleichbar sind mit der Schweiz. In Irland treiben die über Dublin abgewickelten Gewinne von Konzernen wie Apple, Amazon, Pfizer, etc. die Produktivität künstlich hoch, in Norwegen sind es die Ölvorkommen und in Luxemburg der in Relation zur Grösse des Landes riesige Finanzplatz.

Versuchen wir nun, die Quellen des Produktivitätswachstums noch etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Zur Analyse verwenden wir wieder das Konzept des Growth Accounting. Unter gewissen Annahmen zur Produktionsfunktion kann man das Produktivitätswachstum in zwei Komponenten zerlegen. Die erste Komponente ist der Beitrag, der durch den höheren Kapitaleinsatz je Arbeitsstunde entsteht («Capital Deepening»). Die Logik dahinter ist: Je besser ein Arbeitnehmer mit Maschinen, Software, etc. ausgestattet ist, desto höher ist seine Wertschöpfung je Arbeitsstunde. So führte beispielsweise im Detailhandel die Einführung von Scanning-Kassensystemen in den 80er Jahren dazu, dass deutlich mehr Waren abkassiert werden konnten – die Produktivität der Kassierer stieg deutlich an. Mit der Investition in Self-Scanning-Systeme wurden später mehrere Kassierer durch eine Aufsichtsperson ersetzt, deren Produktivität dann deutlich höher war als jene der einzelnen Kassierer. 

Insgesamt konnte die Kapitalintensität der Wirtschaft in den vergangenen 10 Jahren erhöht werden und führte zu einem Anstieg der Stundenproduktivität um 0.5 Prozent. Dieser Wert liegt im Durchschnitt der Industrieländer. Interessant ist ein Blick auf die verschiedenen Kategorien von Produktionskapital, die in der Volkswirtschaftlichen Kapitalstockrechnung unterschieden werden. Neben Gebäuden und Verkehrsinfrastruktur, dem Maschinenpark oder der ICT-Infrastruktur gehören hierzu auch die Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. 

Wie die Statistiken des BFS zeigen, nahm der Bestand des realen Maschinenparks der Volkswirtschaft zwischen 2012 und 2022 um 10 Prozent ab – mit negativen Auswirkungen auf die Produktivität. Teilweise spiegelt sich darin die zunehmende Tertiarisierung wider, andererseits spielt sicherlich auch eine Rolle, dass innerhalb der Industrie in vielen Unternehmen eine Verschiebung von Produktions- auf Forschungstätigkeiten stattfand. Tatsächlich leisteten die massiven Investitionen in Forschung und Entwicklung den grössten Beitrag zur Erhöhung der Kapitalintensität. Der Kapitalstock an Wissen und Technologien stieg innerhalb einer Dekade um 50 Prozent an.

Im internationalen Vergleich sind die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in der Schweiz überdurchschnittlich hoch und lagen 2021 bei 3.3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Lediglich in Südkorea (4.9%) und Israel (5.6%) liegt diese Quote noch signifikant höher. Betrachtet man ausschliesslich die FuE-Intensität der Privatwirtschaft, warten zudem die USA, Japan und Schweden mit höheren Werten auf (Vgl. Abbildung).

Innerhalb der privatwirtschaftlichen Forschung und Entwicklung ist für die Schweiz eine gewisse Unausgewogenheit festzustellen. Mehr als die Hälfte der FuE-Aufwendungen kommen aus dem Bereich Chemie/Pharma/Biotech. Im Jahr 2021 waren es rund 9 Milliarden Franken – gegenüber rund 6 Milliarden in 2012 (+44%). Damit gingen zwischen 2012 und 2021 zwei Drittel des gesamten Wachstums der FuE-Aufwendungen auf diesen Sektor. Ein noch höheres Wachstum (auf niedrigerem Niveau) kommt aus dem ICT-Sektor. In den Branchen Metall/Maschinen/High-Tech hingegen sanken die Ausgaben für Forschung und Entwicklung. 

Im nächsten Blog befassen wir uns mit einer weiteren Komponente des Produktivitätswachstums, der totalen Faktorproduktivität. Hierbei geht es darum, wie gut das Zusammenspiel der verschiedenen Produktionsfaktoren (Arbeit, Know-How, Kapital) dazu genutzt wird, Unternehmen effizienter und produktiver zu machen. In den entwickelten Volkswirtschaften ist diese auch technologischer Fortschritt genannte Wachstumsquelle häufig die dominierende Kraft der Produktivitätsentwicklung.

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