Wie ein Ökonom Weihnachten sieht

Die Ökonomie gilt als rational und kaltherzig. Sie ist also genau das Gegenteil von allem, was wir mit Weihnachten verbinden. Stimmt das? Eine Spurensuche.

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In der Volkswirtschaftslehre (VWL) galt der «Homo oeconomicus» jahrzehntelang als Goldstandard. Dieser – bezeichnenderweise ein Mann –  ist ein rationaler Nutzenmaximierer ohne Gefühle oder Empathie. Weihnachtliche Gefühle sucht man hier vergeblich. Auch in den lange vorherrschenden Wachstumsmodellen fehlte es an Menschlichkeit: Es gab oft nur ein einziges Konsumgut, einen Produzenten; Verteilungsfragen spielten keine Rolle. Selbst die Sparquote – der Anteil des Einkommens, der gespart und nicht konsumiert wird – wurde im ursprünglichen Solow-Modell als konstant angenommen. Im Ramsey-Modell konnte die Sparquote zwar variieren, allerdings nur in Abhängigkeit von anderen Parametern als der Einkommensverteilung. Auch das Ramsay-Modell vereinfacht: ein Gut, ein Produzent. Selbst das vielerorts heute noch gebräuchliche IS-LM-Modell blendet Verteilungsfragen aus.

Inzwischen hat die Ökonomie erkannt, dass die Verteilung nicht nur soziologisch, sondern auch für die Wachstumstheorie entscheidend ist. So unterscheidet sich die Sparquote (und damit auch die ihr komplementäre Konsumquote) nach Haushaltseinkommen; reichere Haushalte sparen anteilsmässig mehr als ärmere (letztere können nach Abzug des Grundkonsums wie Essen, Wohnen usw. nur wenig oder nichts auf die Seite legen). 

Weil sich die Sparquoten unterscheiden, ist die Verteilung des gesamten Einkommens zwischen armen und reichen Haushalten ein zentraler Faktor für die gesamtwirtschaftliche Konsumnachfrage. Gleichzeitig gewinnen Forschungsfelder wie die «Behavioral Economics», die analysieren, was individuelle Entscheidungen beeinflusst, stark an Bedeutung. Übrigens: Behavioral Ökonomen empfehlen, Geld oder Gutscheine zu verschenken. Gemäss einem Fachartikel von Joel Waldfogel im Journal «American Economic Review» mindern Sachgeschenke den Nutzen bei den Beschenkten im Vergleich zu einem Geldbetrag um 10 bis 30%. Herzlos, aber mit Blick auf gewisse Wollsocken und Duftkerzen wohl oft wahr. 

Ein weiteres Beispiel für die Relevanz von Verteilungsfragen: Der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wurde an Daron Acemoğlu, Simon Johnson und James A. Robinson verliehen – für ihre Arbeit zur Klärung der Frage, warum manche Staaten reich und andere arm sind. Auch bei BAK Economics erweitern wir unser Modellportfolio stetig um Verteilungsmodelle. Damit können wir beispielsweise simulieren, wie sich die Bilateralen III auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen – etwa Männer und Frauen oder reiche und arme Haushalte – auswirken würden und was dies für das Schweizer Wirtschaftswachstum bedeutet.

In der Empirie – der Betrachtung historischer Daten – wird Weihnachten oft emotionslos als «Saisonfaktor» behandelt. Um die Festtage herum zeigen Zeitreihen regelmässig auffällige Brüche: Der Konsum steigt, während die Produktion sinkt. Analysen, die diesen Effekt nicht berücksichtigen, liefern verzerrte Ergebnisse. Daher müssen Zeitreihen um diesen Saisonfaktor bereinigt werden. Gleichzeitig liefert die weihnachtliche Konstellation aus Mehrkonsum und geringerem Angebot interessante Hinweise für eine der zentralen wirtschaftlichen Fragen dieses Jahrzehnts: Wie wird sich die Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation auf die Inflation auswirken? Zur Weihnachtszeit steigen zunächst die Preise, um danach im Ausverkauf wieder zu fallen. Analog dazu könnte die Verknappung des Arbeitskräfteangebots durch Pensionierungen zunächst preistreibend wirken, bevor eine Sättigung eintritt – da ältere Menschen tendenziell mehr sparen und weniger konsumieren. Ein solcher Trend könnte nach einem erneuten Inflationsschub zu einem «Japan-Style»-Preisrückgang führen.

Auch die Spieltheorie bietet spannende Perspektiven auf Weihnachten – allerdings in unromantischer Weise. Laut Spieltheorie findet ein System ein Gleichgewicht, wenn niemand besser gestellt werden kann, ohne dass jemand anderes verliert. Auf Weihnachten übertragen bedeutet das: Es ist eine logische Strategie, dass Religionsrichtungen beliebte Bräuche anderer Religionen übernehmen. Genau dies scheint bei unserem Weihnachtsbrauch geschehen zu sein. Wenn ich Expertinnen und Experten aus diesem Gebiet richtig verstehe, verschmelzen historisch viele heidnische und christliche Traditionen: Die Krippe stammt aus dem Katholizismus, der Tannenbaum ist eher protestantisch, und die Idee eines Lichterfestes rund um den kürzesten Tag des Jahres reicht weit bis vor die Entstehung des Christentums zurück. Heute stehen in vielen Haushalten Krippe und Tannenbaum nebeneinander – und alle freuen sich daran

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