Ich habe wiederholt darüber geschrieben, dass das Handels- bzw. Leistungsbilanzdefizit der USA weniger ein Problem von «unfairen» Handelspraktiken ist als Ausdruck eines fundamentalen Ungleichgewichts: Die USA sparen zu wenig im Verhältnis zu ihren Investitionen.
Handels- und Leistungsbilanz: Einfach erklärt
Die Handelsbilanz stellt die Importe und Exporte von Waren eines Landes gegenüber. Werden Dienstleistungen einbezogen (was Trump nicht tut), spricht man von der Leistungsbilanz. Das Pendant dazu ist die Kapitalverkehrsbilanz, die Geldströme über Ländergrenzen hinweg misst. Diese beiden Bilanzen gleichen sich aus – ebenso wie die Leistungsbilanzen aller Länder weltweit, solange wir nicht mit Ausserirdischen Handel treiben. Es können also nicht alle Länder gleichzeitig einen Leistungsbilanzüberschuss haben.
Etwas Theorie – es gilt:
- Einkommen (Y) = Konsum (C) + Sparen (S)
- Einkommen (Y) = Konsum (C) + Investitionen (I)
In einer geschlossenen Volkswirtschaft entspricht Sparen (S) den Investitionen (I). In offenen Volkswirtschaften, wie wir sie durch den Freihandel erleben, können jedoch auch diese Beziehungen entstehen:
- S > I: Mehr Ersparnisse als Investitionen → Leistungsbilanzüberschuss.
- S < I: Weniger Ersparnisse als Investitionen → Leistungsbilanzdefizit.
Ein Leistungsbilanzüberschuss spiegelt also einen relativen Überschuss an nationalen Ersparnissen im Vergleich zu den nationalen Investitionen wider. Bildlich (und vereinfacht) gesprochen: Mehr Güter und Dienstleistungen werden exportiert, und das notwendige Kapital fliesst ins Ausland, um diese Importe zu bezahlen.
Dieses Ungleichgewicht zwischen Ersparnissen (S) und Investitionen (I) kann nicht durch Aussenpolitik oder Zölle korrigiert werden. Es ist eine Aufgabe der Innenpolitik: Steuern, Ausgaben, Investitionsanreize.
Zwei Seiten desselben Ungleichgewichts: Die Schweiz und die USA
Was Trump offenbar nicht versteht – gilt in ähnlicher Form auch für die Schweiz, bloss in die andere Richtung. Hierzulande tobt die Diskussion über die Negativzinsen. Viele halten sie für ein politisches Ärgernis oder ein Instrument, das aus dem Ruder läuft.
Doch auch hier liegt der Kern in der fundamentalen Logik von S und I:
- In der Schweiz wird mehr gespart als investiert (S > I). Dieses Überangebot an Kapital drückt die Zinsen so tief, dass der reale Gleichgewichtszinssatz nahe oder sogar bei Null liegt.
- Kommt dann noch eine tiefe Inflation und geringe Inflationserwartungen dazu – wie sie die Schweiz als «sinkende Hochpreisinsel» mit einer tendenziell aufwertenden Währung kennt –, bleibt auch der Nominalzins tief.
- Der starke Franken ist übrigens auch eine Folge von S > I: Die Schweiz akkumuliert aufgrund des Leistungsbilanzüberschusses stetig Vermögen im Ausland und wird so als globaler Kreditgeber immer «sicherer».
Negativzinsen – nicht paradox, sondern Folge des tiefen Gleichgewichtspreis
Zugegeben, Negativzinsen wirken auch für mich nach wie vor paradox. Doch wie bei den negativen Zahlen liegt das Problem weniger in der Logik als in unserer normativen Vorstellung: Es scheint widersinnig, fürs Verleihen von Geld zu zahlen. Aber letztlich sind auch Zinsen nur der Gleichgewichtspreis zwischen Ersparnissen und Investitionen. Und solange in der Schweiz die Ersparnisse das Investitionsvolumen übersteigen, bleibt der Druck auf die Zinsen negativ – ganz gleich, ob wir das mögen oder nicht.
Huhn oder Ei? Beim Zins bestimmt die Sparquote den Preis
Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) kann sich dieser Gegebenheit nicht entziehen. Nicht der Preis des Geldes – der Zins – bestimmt langfristig, wieviel gespart wird, sondern das Verhältnis von Angebot (Sparen) und Nachfrage (Investition) bestimmt den Preis (den Zins). Und die SNB kann an diesem Verhältnis wenig ändern.
Fazit: Wenn man etwas ändern will, ist die Innenpolitik gefragt
So drehen sich die Diskussionen in der Schweiz über Zinsen und in den USA über das Handelsdefizit letztlich um dasselbe – das Verhältnis von Sparen und Investieren.
Beides ist Ausdruck eines strukturellen Ungleichgewichts – und beides lässt sich nur im Inland korrigieren. Falls man es überhaupt will. Sicher ist: Zinspolitik (SNB) oder Aussenpolitik (Zölle) sind dafür stumpfe Waffen.