Weihnachten sind Emotionen. Und diese passen auf den ersten Blick schlecht zur Ökonomie. Jahrzehntelang galt in der Volkswirtschaftslehre (VWL) der „Homo oeconomicus“ als Goldstandard: ein rationaler Nutzenmaximierer ohne Gefühle oder Empathie. Weihnachtliche Regungen sucht man hier vergeblich.
Doch dieses altertümliche Bild ist längst überholt, wie sich 2025 erneut zeigt. Die US-Zollpolitik wirkt auf die Wirtschaft nicht nur über die Abgaben an sich, sondern vor allem über die Unsicherheit, die sie erzeugt. Die zentrale Wirkung entfaltet sich damit weniger über Preise oder Mengen als über Erwartungen. Investitionen werden verschoben, nicht weil Renditen einbrechen, sondern weil Unsicherheit Gift für Investitionen ist. In der Investitionstheorie ist das gut verankert: Unter irreversiblen Entscheidungen und Unsicherheit gewinnt das Abwarten einen eigenen Wert („Option Value of Waiting“).
Dass Emotionen eine Rolle spielen, hat am prominentesten John Maynard Keynes mit seinen „Animal Spirits“ beschrieben. Investitions- und Konsumentscheide folgen nicht nur Zinsen, Preisen oder Steuern, sondern auch Vertrauen, Stimmungen und Angst. Makroökonomische Dynamik ist damit immer auch Psychologie.
Forschungsfelder wie Behavioral Economics setzen hier an. Sie korrigieren das Ideal vollständiger Rationalität des Homo oeconomicus und formalieren systematische Verzerrungen: Verlustaversion, Referenzabhängigkeit, Status-quo-Bias, asymmetrische Reaktionen auf gute und schlechte Nachrichten. Die Prospect Theory, für die Daniel Kahneman und Amos Tversky 2002 den Nobelpreis erhielten, zeigt, warum Verluste stärker wirken als Gewinne und weshalb Unsicherheit Entscheidungsprozesse lähmt. Unter Unsicherheit wird nicht optimiert, sondern vereinfacht. Heuristiken ersetzen Kalkül.
Auch bei der Konsumdynamik dominiert Wahrnehmung über Realität. Gefühlte Kaufkraftverluste wirken stärker als reale Einkommensgewinne. Weihnachten ist dafür ein Lehrstück: Geschenke werden nach Signalwirkung gewählt, nicht nach Nutzenmaximierung. Sozial konsistent, ökonomisch ineffizient.
Übrigens empfehlen Behavioral-Ökonomen, Geld oder Gutscheine zu verschenken. Gemäss einem Fachartikel von Joel Waldfogel im American Economic Review mindern Sachgeschenke den Nutzen bei den Beschenkten im Vergleich zu einem Geldbetrag um 10 bis 30 %. Herzlos, aber mit Blick auf gewisse Wollsocken und Duftkerzen oft zutreffend.
Bleibt das Vorurteil, Ökonomen kümmerten sich einen Deut um Verteilungsfragen – und dies wiegt ausgerechnet an Weihnachten schwer. Tatsächlich fehlte es in den lange vorherrschenden Wachstumsmodellen an Menschlichkeit. Es gab oft nur ein einziges Konsumgut und einen Produzenten; Verteilungsfragen spielten keine Rolle. Selbst die Sparquote – der Anteil des Einkommens, der gespart und nicht konsumiert wird – wurde im ursprünglichen Solow-Modell als konstant angenommen. Im Ramsey-Modell konnte die Sparquote zwar variieren, allerdings nur in Abhängigkeit von anderen Parametern als der Einkommensverteilung. Auch hier die gleiche Vereinfachung: ein Gut, ein Produzent.
Selbst das vielerorts bis heute gebräuchliche IS-LM-Modell blendet Verteilungsfragen aus. Inzwischen hat die Ökonomie erkannt, dass Verteilung nicht nur soziologisch, sondern auch für die Wachstumstheorie entscheidend ist. Die Sparquote (und damit die komplementäre Konsumquote) unterscheidet sich nach Haushaltseinkommen: Reichere Haushalte sparen anteilsmässig mehr als ärmere, die nach Abzug des Grundkonsums oft wenig oder nichts zurücklegen können. Weil sich die Sparquoten unterscheiden, ist die Einkommensverteilung zwischen armen und reichen Haushalten ein zentraler Faktor für die gesamtwirtschaftliche Konsumnachfrage.
In der Empirie wiederum wird Weihnachten äusserst unromantisch als „Saisonfaktor“ behandelt. Um die Festtage herum zeigen Zeitreihen regelmässig auffällige Muster: Der Konsum steigt, während die Produktion sinkt. Analysen, die diesen Effekt nicht berücksichtigen, liefern verzerrte Ergebnisse. Entsprechend müssen Zeitreihen saisonbereinigt werden. Entschuldigt, liebe Romantiker, so ist Statistik einfach.
Auch die Spieltheorie bietet eine unromantische Perspektive auf Weihnachten. Ein System befindet sich im Gleichgewicht, wenn niemand besser gestellt werden kann, ohne dass jemand anderes verliert. Übertragen auf Weihnachten heisst das: Es ist eine logische Strategie, dass Religionsrichtungen erfolgreiche Bräuche anderer übernehmen. Genau dies scheint historisch geschehen zu sein. Heidnische und christliche Traditionen verschmelzen: die Krippe aus dem Katholizismus, der Tannenbaum eher protestantisch, das Lichterfest rund um den kürzesten Tag des Jahres weit vorchristlich. Heute stehen in vielen Haushalten Krippe und Tannenbaum nebeneinander – und alle profitieren davon.
