It’s the Inflation Expectation, Stupid!

Hat die SNB ihr Inflationsziel angepasst? Neu scheint sie die Mitte des Zielbands zu fokussieren, während Negativzinsen nichts anderes als Zinsen mit umgekehrtem Vorzeichen sind und entdramatisiert werden sollten.

Share This Post

Vergangene Woche hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) für eine Überraschung gesorgt: Sie hat den Leitzins unerwartet stark um 50 Basispunkte auf 0.5% gesenkt. Diese Entscheidung kam früher als erwartet – viele Ökonomen, mich eingeschlossen, hatten eine solche Zinssenkung erst für Anfang 2025 auf dem Radar.

Drei zentrale Fragen drängen sich auf:

1. Müssen Zentralbanken überraschen, um effektiv zu sein?

2. Warum hat die SNB in dieser Eile gehandelt?

3. Droht eine Rückkehr zu Negativzinsen?

 

1. Überraschung als Prinzip der Geldpolitik

In der klassischen Volkswirtschaftslehre ist Überraschung ein entscheidender Faktor für die Wirksamkeit der Geldpolitik. Im bekannten IS-LM-Modell wird Geld als «neutral» angesehen: Ein Anstieg der Geldmenge führt langfristig nur zu höheren Preisen und Löhnen, nicht jedoch zu realen wirtschaftlichen Effekten. Massnahmen wirken also nur kurzfristig und dann, wenn sie unerwartet kommen.

Die moderne Volkswirtschaftslehre setzt hingegen stärker auf Planbarkeit. Märkte sollen die sogenannte «Reaktionsfunktion» der Zentralbank – also, wie sie auf bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen reagiert – nachvollziehen können. Unstrittig bleibt, dass Geldpolitik über Erwartungen wirkt und zeitkonsistent sein muss.

Die SNB erfüllt mit ihrer Zinssenkung das Prinzip der Zeitkonsistenz: Ein Leitzins unterhalb der Inflationsrate ist ein logischer Schritt, wenn die Inflation niedrig ist. Doch die Überraschung wirft auch Fragen auf. Kritiker könnten argumentieren, dass die SNB mit dieser Massnahme ihr Pulver verschossen hat oder dass die Eile ein falsches Signal an die Märkte sendet. Ein solch starker Zinsschritt könnte den Eindruck erwecken, die SNB sehe eine unmittelbare Gefahr einer Krise. Vergleichbar drastisch wurde der Leitzins zuletzt in der Finanz- und Eurokrise gesenkt. Solche Krisenängste könnten sich als selbst erfüllende Prophezeiung erweisen.  

2. Woher kommt die Eile der SNB?

Aus meiner Sicht am wahrscheinlichsten ist, dass die wiederholt tiefer als erwartete Inflation die SNB zum derart dezidierten Handeln bewegt hat. Auch der Wechselkurs dürfte eine Rolle gespielt haben: Ein niedriger Zins mindert den Aufwertungsdruck auf den Franken.

Doch warum sorgt eine niedrige Inflation für so viel Unruhe? Immerhin erfüllt die SNB mit der aktuellen Inflationsrate von 0.7% innerhalb des Zielbands von 0 bis 2% ihr gesetzliches Mandat, und die Prognosen der meisten Ökonomen lagen für 2025 und 2026 noch innerhalb dieses Bandes. 

Und eigentlich würden sinkende Preise doch Konsumentinnen und Konsumenten reicher machen, was gut ist!? Das Problem liegt allein in den Erwartungen: Sinkende Preise könnten dazu führen, dass Konsumentinnen und Konsumenten ihre Käufe aufschieben – insbesondere bei langlebigen Gütern wie Autos oder Elektronik. Dieses Verhalten kann eine sogenannte Deflationsspirale auslösen, in der sinkender Konsum zu fallenden Preisen und weiterem wirtschaftlichem Abschwung führt.

Glücklicherweise ist die Schweiz weniger anfällig für diese Spirale, da viele langlebige Konsumgüter importiert werden. Dennoch gibt es gewichtige Argumente gegen negative Inflation:


  1. Starre Löhne: Löhne lassen sich kaum senken, ohne die Motivation der Mitarbeitenden zu gefährden. Sinkende Preise drücken daher die Margen der Unternehmen.
  2. Eingeschränkte Differenzierung: Ohne Lohnerhöhungen wird es schwieriger, gute Mitarbeitende angemessen zu belohnen.
  3. Tiefer Nominalzins: Negative Inflation zwingt die Zentralbank zu extrem niedrigen oder gar negativen Zinssätzen – ein Szenario, das viele Marktteilnehmer kritisch sehen.

 

Besonders der letzte Punkt ist meines Erachtens für die SNB entscheidend: Der effektivste Weg, um negative Nominalzinsen zu vermeiden, ist eine höhere Inflation. Bereits die Erwartung höherer Inflation könnte helfen, da Anleger eine Prämie für den möglichen Kaufkraftverlust verlangen und die Nominalzinsen dadurch steigen.

3. Droht eine Rückkehr zu Negativzinsen?

Negativzinsen sind ein emotional aufgeladenes Thema, obwohl ihre theoretischen Grenzen seit Jahren widerlegt sind – zumindest solange sie nicht extrem negativ werden. So lag der Leitzins der SNB fast 100 Monate lang unter Null, ohne dass der Bargeldumlauf explodierte. Dennoch bleibt die Kommunikation der SNB zurückhaltend: Aussagen wie «Niemand mag Negativzinsen» lassen auf ein gewisses Unbehagen der Währungshüter schliessen.

Aus geldpolitischer Sicht sind Negativzinsen jedoch nichts anderes als normale Zinsen mit einem umgekehrten Vorzeichen. Solange sie glaubwürdig und zeitkonsistent angewendet werden, sind sie genauso wirksam. Natürlich haben sie Nebenwirkungen, aber das gilt ebenso für positive Zinsen. Wichtig ist, dass die Geldpolitik klar und entschlossen bleibt – für Verteilungspolitik sind andere Akteure verantwortlich.

Die jüngste Zinssenkung der SNB könnte daher als präventiver Schritt gegen eine Rückkehr zu Negativzinsen interpretiert werden. Höhere Inflationserwartungen könnten dazu beitragen, diese Notwendigkeit zu vermeiden.

Fazit: Ein Befreiungsschlag mit klarem Ziel

Mit ihrer überraschenden Zinssenkung hat die SNB ein starkes Signal gesendet: Sie akzeptiert keine anhaltend niedrigen Inflationserwartungen. Ihre Glaubwürdigkeit bleibt unbestritten, doch eine noch klarere Kommunikation könnte ihre Massnahmen stärken. Ein offenes Bekenntnis zu einem Inflationsziel in der Mitte des Zielbands wäre hilfreich, um die Erwartungen der Märkte gezielt zu lenken.

Das Thema Negativzinsen sollte zudem entdramatisiert werden. Falls globale Krisen wie eine Eskalation im Handelsstreit oder andere wirtschaftliche Schocks eintreten, könnte die SNB gezwungen sein, erneut zu diesem Instrument zu greifen – unabhängig davon, wie unpopulär es ist. 

Am Ende dreht sich in der Geldpolitik alles darum, die Inflationserwartungen stabil im Zielband zu halten.

 
 

More To Explore