Growth Accounting I

Wirtschaftswachstum und Arbeitsstunden

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Der Beitrag der geleisteten Arbeitsstunden zum BIP-pro-Kopf-Wachstum

In diesem Beitrag widmen wir uns der Analyse von Wirtschaftswachstum. Die Grundfrage ist, welche Faktoren das Wirtschaftswachstum beeinflussen.  Spannend ist dabei der Ausblick auf die kommenden Jahre und Informationen darüber, welche Wachstumsquellen in der Schweiz weitgehend erschöpft sind und bei welchen noch Steigerungspotenzial besteht. Hieraus ergeben sich auch Erkenntnisse für eine wachstumsfördernde Politik.

Um diese Fragen anzugehen, verwenden wir hier ein Konzept namens Growth Accounting («Wachstumsbuchhaltung»). Es stellt eine deterministische Dekomposition des Wirtschaftswachstums bzw. des BIP-pro-Kopf-Wachstums dar. Wachstum ergibt sich in diesem System entweder durch die Steigerung der Produktivität oder die Erhöhung des Arbeitseinsatzes oder durch die Kombination beider Komponenten. Für beide «Wachstumsquellen» gibt es wiederum verschiedene Einflussfaktoren, die wir uns noch genauer anschauen werden.

Quelle: BAK Economics

Der Hauptfokus in diesem Beitrag ist die Entwicklung des Arbeitsvolumens in der jüngeren Vergangenheit und die Prognosen für die künftige Entwicklung. Zwischen 2012 und 2022 ist die Zahl der Arbeitsstunden im Durchschnitt um 0.6% gewachsen. Dazu hat vor allem das Wachstum der Bevölkerung in der Schweiz beigetragen, das etwa 0.9% pro Jahr betrug. Aufgrund der Alterung der Bevölkerung stieg jedoch die Zahl der Erwerbstätigen lediglich um 0.6%. Dieser Bremseffekt der Alterung wird aufgrund der demographischen Struktur in den kommenden Dekaden sogar noch zunehmen. Selbst wenn die Bevölkerung bis 2024 jährlich mit 0.8% wächst, wird die Anzahl der erwerbsfähigen Bevölkerung nur um 0.3% pro Jahr ansteigen.

Der Anteil der erwerbsfähigen Personen, die tatsächlich auch arbeiten, hängt davon ab, wie viele dieser Personen überhaupt am Arbeitsmarkt partizipieren, und welcher Anteil des Arbeitsangebots dann eine Beschäftigung findet. Obwohl die Schweiz bereits vor 10 Jahren eine hohe Erwerbs- und Beschäftigungsquote aufwies, konnte beides nochmals gesteigert und die Integration der erwerbsfähigen Bevölkerung in den Arbeitsmarkt nochmals verbessert werden. Das Potenzial für weitere Steigerungen dürfte allerdings in den kommenden 10 Jahren beschränkt sein. Wir gehen davon aus, dass sich Erwerbs- und Beschäftigungsquote mittelfristig auf dem jeweiligen historischen Höchststand (Erwerbsquote: 86.5% (2019), Beschäftigungsquote: 96.0% (2023)) einpendeln wird.

Ein wichtiger Faktor bei der Steigerung des Arbeitsvolumens sind die Grenzgänger und Aufenthalter, deren Zahl zwischen 2010 und 2022 (netto) um 141 Tausend Personen zugenommen hat. Ihr Beitrag zum jährlichen Wachstum des Arbeitsvolumens betrug 0.2 Prozentpunkte. Angesichts der attraktiven Arbeitsbedingungen in der Schweiz dürfte über diesen Kanal auch in den kommenden Jahren ein wichtiger Beitrag zur Deckung der Arbeitsnachfrage in ähnlicher Grössenordnung erfolgen.

Quelle: Bundesamt für Statistik (BFS), BAK Economics

Neben der Anzahl Personen, die arbeiten, ist der zweite grosse Faktor, wieviel diese Leute arbeiten, also die durchschnittliche Arbeitszeit. Sie sank je Erwerbstätigen von 1’593 im Jahr 2012 auf 1’529 Stunden im Jahr 2022. Das Sinken der durchschnittlichen Arbeitszeit ist erstens auf das überdurchschnittliche Jobwachstum in Branchen mit etablierten Teilzeitstrukturen zurückzuführen, zweitens auf die Arbeitsmarktintegration von Personen, die aufgrund ihrer Lebenssituation gar nicht Vollzeit arbeiten können, und drittens auf die steigende Präferenz der Erwerbstätigen für Teilzeitarbeit. Gemäss einer Studie von Deloitte wünschen sich mittlerweile etwa 65% der Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren eine Teilzeitstelle. Tatsächlich haben aber immer noch 59 Prozent der Beschäftigten eine Vollzeitstelle – 2012 waren es noch 63 Prozent. Man muss davon ausgehen, dass der Anteil der Teilzeitstellen weiter ansteigen wird. Nehmen wir an, dass die durchschnittliche Arbeitszeit nochmals im gleichen Umfang zurückgeht wie in den vergangenen 10 Jahren, dann arbeiten wir in 10 Jahren pro Woche im Schnitt etwa 70 Minuten weniger als heute, mit entsprechendem Bremseffekt auf das Arbeitsvolumen (-0.4% pro Jahr).

Stimmen unsere Projektionen für die kommenden 10 Jahre, werden wir das Arbeitsvolumen pro Jahr in der Schweiz nur noch um 0.2 Prozent steigern können. Unsere Basisannahme ist, dass die Zahl der Einwohner im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 0.8 Prozent steigen wird und es zu keiner Erhöhung des Renteneintrittsalters oder der Regelarbeitszeit kommt. So wies es aussieht, werden wir als Volkswirtschaft pro Einwohner gerechnet in 10 Jahren weniger Stunden arbeiten als heute (-0.6%). Was bedeutet das für unseren wirtschaftlichen Wohlstand? Ganz einfach: Wenn wir es nicht schaffen, mit den eingesetzten Arbeitsstunden einen höheren Mehrwert zu generieren als heute, werden wir im Durchschnitt für jeden Einwohner Jahr für Jahr 0.6 Prozent weniger zum Verteilen haben. In zehn Jahren wären wir als Volkswirtschaft 5.5 Prozent «ärmer» geworden.

Schlechtes Wirtschaftswachstum heisst ultimativ schlechtere Altersvorsorge, schlechteres Gesundheitssystem, schlechteres soziales Netz. Wenn also das Arbeitsvolumen stagniert, wird das Fördern der Produktivität, dem zweiten grossen Wachstumstreiber, umso wichtiger. Ihr werden wir uns in den kommenden Posts zuwenden.

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