FINANZSEKTOR: FUNKTION, FAKTEN, FOLGEN

Der Finanzsektor polarisiert. Diskussionen werden häufig emotional geführt. Umso zentraler sind Daten, Fakten und eine nüchterne Einordnung. Genau hier setzt BAK an: Wir liefern Fakten und ordnen ein, mit Blick auf das Ganze. Denn oft geht vergessen, dass im Zentrum der Debatte die Nutzer von Finanzdienstleistungen stehen sollten. Zentrale Fragestellungen sind somit: Was ist die Bedeutung und Funktion des Finanzsektors für die Schweiz? Hat der Wegfall der Credit Suisse einen Einfluss auf die Schweizer Wirtschaft und wer springt in die Bresche? Was steht auf dem Spiel, wenn die Schweiz keine Grossbank mehr hat? Hier folgt die Antwort auf die erste Frage. Die zwei weiteren Beiträge erscheinen als Trilogie in den kommenden Wochen.

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Vor fast 250 Jahren beschrieb Adam Smith in “Wohlstand der Nationen”, wie freier Handel zum Wohlstand von Volkswirtschaften beiträgt. Der Grundgedanke: Handel macht Arbeitsteilung zwischen Volkswirtschaften möglich und erlaubt diesen, sich auf das zu spezialisieren, was sie am effizientesten, am produktivsten produzieren können. Smith illustrierte den Effizienzgewinn der Arbeitsteilung, indem er die Produktion von Stecknadeln in viele kleine, spezialisierte Schritte zerlegt, z. B. Draht ziehen, spalten, spitzen, Kopf anbringen, verpacken. Für jeden Schritt werden darauf spezialisierte Arbeiter eingesetzt, statt dass jeder Arbeiter alle Schritte hintereinander durchführt. Die Folge ist eine massive Steigerung von Produktivität und Produktion.

Knapp 40 Jahre später zeigte David Ricardo in seiner Theorie des komparativen Vorteils auf, dass die Spezialisierung auf die Produktion jener Güter erfolgen sollte, die sie relativ (und nicht absolut) am effizientesten (d.h. mit den geringsten Opportunitätskosten) herstellen können. Handel zwischen zwei Volkswirtschaften ist selbst dann  für beide vorteilhaft, wenn ein Land bei allen Gütern absolut gesehen effizienter ist. Ricardo veranschaulichte seine Theorie mit dem berühmten Beispiel des Handels zwischen England und Portugal mit Tuch und Wein. Portugal – obwohl effizienter sowohl bei der Produktion von Tuch als auch von Wein – spezialisiert sich auf Wein, England auf die Tuchproduktion. Im Ergebnis können beide Länder sowohl mehr Tuch als auch mehr Wein konsumieren, als wenn sie beides selbst produzieren würden.

Wer einmal Ökonomie studiert hat, dem sind die Stecknadelfabrik bei Smith und der Handel mit Tuch und Wein bei Ricardo vermutlich geblieben. Heute würde Ricardo seine Theorie vielleicht nicht mehr mit Tuch und Wein illustrieren. Schweizer Studierenden würde er möglicherweise die komparativen Vorteile der Schweiz bei der Produktion von Medikamenten und Uhren erklären.

Auch im Dienstleistungssektor verfügt die Schweiz komparative Vorteile, bspw. bei der Vermögensverwaltung oder Rückversicherung. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass Banken und Versicherungen jährlich im Wert von rund 35 Milliarden Franken (2024) Finanzdienstleistungen exportieren. Im Jahr 2024 lagen die Exporte von Fnanzdiensten so hoch wie jene von Uhren, Nahrungs- und Genussmitteln zusammen und höher als die Ausfuhren von Maschinen und Elektronik. In verschiedenen Regionen haben sich Cluster herausgebildet, die sich durch eine Bündelung von spezifischem Know-how und Dienstleistungsangeboten auszeichnen wie die international ausgerichteten Finanzplätze Zürich und Genf. Sie stärken dadurch auch den Ruf der Schweiz als globalen Finanzplatz.

Die Exportquote liegt im Finanzsektor bei 25 Prozent. Angesichts des in einigen Bereichen immer noch erschwerten Marktzugangs (bspw. für das Retailbanking im EU-Markt) eine beachtliche Quote. Der Anteil der Finanzdienste an den gesamten Dienstleistungsexporten der Schweiz lag 2024 bei 21%, der Anteil an den gesamten Exporten (ohne Edelmetalle und Transithandel) lag bei 7,5%. Die Zahlen machen klar: Der Finanzsektor ist ein wichtiger Exportsektor. Er trägt zur Verbreiterung der industriell geprägten Exportbasis bei, schafft durch Spezialisierung und die Ausnutzung komparativer Vorteile Wohlstand für die Schweiz und stärkt das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft.

Die Exportorientierung in den spezialisierten Segmenten erklärt auch, warum der Finanzsektor in der Schweiz eine höhere Bedeutung als in den meisten anderen Volkswirtschaften, in denen sich Banken und Versicherungen ausschliesslich auf die flächendeckende Versorgung mit Finanzdienstleistungen der inländischen Wirtschaft und Bevölkerung konzentrieren. Im Jahr 2024 lag der Wertschöpfungsanteil der Banken und Versicherungen zusammen bei 8.8 Prozent (73 Mia. CHF). In Deutschland ist der Anteil mit 3.9 Prozent nicht einmal halb so hoch.

Zählt man auch indirekte Effekte entlang der gesamten Wertschöpfungskette dazu, entstand 2024 in der Schweiz im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen eine Bruttowertschöpfung von CHF 111.9 Mrd. (13.4% der Gesamtwirtschaft), verbunden mit 523’700 Arbeitsplätzen (FTE) (11.7%). Diese Zahlen machen deutlich, dass der Finanzsektor in der Schweiz eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung hat.

Noch wichtiger als diese durch die Produktion ausgelöste Wertschöpfungseffekte sind aus volkswirtschaftlicher Sicht jene Effizienz und Produktivitätseffekte, welche bei den Nutzern der Finanzdienstleistungen entstehen. Das ist die Infrastrukturfunktion des Finanzsektors. Zu den Infrastrukturleistungen gehören: die Allokations- und Koordinationsfunktion der Finanzmärkte, die Transformationsfunktionen von Finanzintermediären (Losgrössen-, Fristen-, Risikotransformation), die Verwahrung der Ersparnisse und Kontoführung, das treuhänderische Aufbewahren und das administrative Bewirtschaften von Wertpapieren und anderen Vermögenswerten inkl. Beratung, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs oder die Unternehmensfinanzierung.

All diese Dienste schaffen Effizienzgewinne bei den Nutzern und machen die Wirtschaftsakteure produktiver. Dadurch entsteht der grösste und vermutlich am meisten unterschätzte volkswirtschaftliche Nutzen der Banken und Versicherungen. Eine moderne Volkswirtschaft ist ohne Finanzsektor kaum vorstellbar: Ohne funktionierende Banken würde die Geldversorgung zusammenbrechen und das Wirtschaften praktisch verunmöglicht. Ohne Versicherungen stellten Schadensfälle verheerende oder gar existentielle Bedrohungen dar, und ohne die Absicherung finanzieller Risiken wäre die wirtschaftliche Aktivität deutlich eingeschränkt.

Ohne Credit Suisse haben sich die Marktbedingungen bereits verändert. In der kommenden Ausgabe zeigen wir auf, wo Lücken drohen oder bereits sichtbar sind, wer in die Bresche springen kann, wer nicht und weshalb nicht. 

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