Letzte Woche habe ich gewagt zu behaupten, dass sich die Entwicklung der Schweizer (Binnen-)Wirtschaft im kommenden Jahr trotz Trump und Co. belastbar prognostizieren lässt. Diese Woche gehe ich noch einen Schritt weiter: Für 2025 lässt sich die Entwicklung des EUR/CHF-Wechselkurses gut vorhersagen.
Mit Regionalteam in der Champions League
Man muss wissen: Wechselkursprognosen sind die Champions League der Prognosen. Täglich werden CHF im Umfang von beinahe 400 Milliarden gehandelt. Und es gibt wohl keine Verwaltungsratssitzung oder Budgetdiskussion, in der nicht nach dem Wechselkurs gefragt wird. Nur leider treten Ökonomen mit einer Regionalliga-Mannschaft zum Spiel an.
Im Volkswirtschaftsstudium lernt man, dass Wechselkurse zumindest über einen kurzen Zeithorizont einem Random Walk folgen, dass sich der zukünftige Verlauf nicht einfach durch Fortschreibung der Vergangenheit prognostizieren lässt. Nur für die lange Frist gibt es theoretische Erklärungen der Bewegungen (z. B. Kaufkraftparität, Zins- und Inflationsdifferenzen). Leider ist aber die kurze Frist deutlich länger, als es sich Marktteilnehmer erhoffen würden.
SNB senkt Leitzins und ist bei Bedarf im Devisenmarkt aktiv
In der Schweiz gibt es indes einen gewichtigen Mitspieler am Wechselkursmarkt, und das ist die Schweizerische Nationalbank (SNB). Die SNB hat heute den Leitzins ungewöhnlich stark um 0.50 Prozentpunkte auf 0.50 % gesenkt. Die SNB ist ausserdem bereit, «bei Bedarf im Devisenmarkt zu intervenieren». Der Franken hat sich darauf kaum bewegt. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass die Märkte die Zinsänderung bereits vorher antizipiert haben.
Die Reaktionsfunktion der SNB
Um die Wechselkursentwicklung zu prognostizieren, muss man demnach die «Reaktionsfunktion» der SNB kennen – dies ist der Fachbegriff dafür, dass man verstehen muss, wie die SNB auf Veränderungen in Wirtschaft, Inflation und Finanzmarkt reagiert.
Um die Reaktionsfunktion herzuleiten, muss man das Mandat der SNB kennen: «Die SNB gewährleistet die Preisstabilität. Dabei trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung.» Die SNB rettet somit keine Banken und auch nicht das Klima – das können andere besser. Sie sorgt sich einzig darum, dass die Inflation im Zielband zwischen 0 und 2 % bleibt. Droht die Inflation darunter zu sinken, wird ihre Geldpolitik expansiver und umgekehrt.
Für eine kleine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz kann eine expansivere Geldpolitik entweder mittels tieferer Zinsen oder durch einen schwächeren Wechselkurs erreicht werden. Die SNB bevorzugt gemäss eigenen Angaben den Zinskanal. Sie hat jedoch ihr gelpolitisches Konzept jüngst explizit dahingehend geändert, dass sie bei Bedarf auch mit „zusätzlichen Massnahmen“ operieren kann. Das klingt, wie so oft in der Geldpolitik, etwas kryptisch, meint aber nichts anderes, als dass die SNB den Wechselkurskanal nun auch offiziell als bedeutend ansieht.
Im Zinskanal hat sie heute einen bedeutenden Schritt unternommen. Der Gedanke hinter der ungewohnt starken Leitzinssenkung dürfte darin liegen, ein klares und gewichtiges Signal zu senden: Die SNB agiert entschlossen und handelt mit Nachdruck.
Paradoxerweise ist die starke Zinssenkung meines Erachtens auch ein Indiz dafür, dass die SNB den EUR/CHF-Kurs bis auf Weiteres äusserst genau im Auge behalten wird. Und weil sie derzeit mehr Sorgen vor Deflation halt als vor Inflation hat, wird sie keine starke Aufwertung des CHF tolerieren. Diese würde nämlich die Inflation senkend beeinflusst (Importgüter würden günstiger, Exporteure verlören Preissetzungsmacht).
Wie geht die SNB 2025 vor?
Der CHF ist immer dann als «sichere Hafen» gesucht und wertet auf, wenn die Medien voller negativer Schlagzeilen sind – beispielsweise, wenn Herr Trump eine Idee für neue Sanktionen oder Zölle herauslässt. -> In diesem Szenario sind Interventionen das primäre Instrument der SNB, da diese rasch wirksam und umsetzbar sind.
Verändert sich das Zins- oder Handelsgefüge hingegen fundamental – beispielsweise, weil die Zinsen im Euroraum massiv gesenkt werden, weil Handelsströme durch Zölle und Barrieren versiegen oder die deutsche Industrie in der Rezession verharrt –, wird die SNB den Leitzins weiter senken.
Dies bedeutet für den EUR/CHF-Wechselkurs: Der CHF wird zum EUR stark bleiben, das Aufwertungspotenzial wird aber durch die SNB begrenzt. Dies gilt zumindest so lange, wie die Teuerung in der Schweiz tief und das Wirtschaftswachstum schwach ist – was beides 2025 der Fall sein sollte. Rechnen Sie also wie wir mit einer Seitwärtsbewegung im EUR/CHF-Wechselkurs in der Spanne 0.90 bis 0.93.
SNB hat noch «Munition»
Man mag nun einwenden, dass die Unterstützung der SNB nicht unendlich ist, wie viele Unternehmen und Investoren bei der Aufhebung der Wechselkursuntergrenze 2015 erfahren mussten. Dies ist leider korrekt; die SNB kann den Zins nicht mehr beliebig weit senken. Doch ist der Spielraum von den heute 0.50 % doch noch beträchtlich. Zur Erinnerung: Bis Mitte 2022 lag der Zins noch bei –0.75 % und die SNB hat wiederholt betont, dass sie bereit ist, auch wieder Negativzinsen einzuführen. Zudem kann die SNB zwar theoretisch unbeschränkt im Devisenmarkt intervenieren, weil sie ja die dafür notwendigen Franken selbst schaffen kann, in der Praxis wird sie dies aber wohl nicht tun.
Muss sie aber auch nicht. Schliesslich funktioniert Geldpolitik vor allem über Erwartungen. Und es zeigt sich: Die SNB geniesst derzeit eine hohe Glaubwürdigkeit. Wertet der Franken auf, gehen die Marktzinsen runter, was den Franken wieder schwächt – der Markt macht somit einen Teil der Arbeit der SNB selbst. Und die SNB macht einen Teil der Arbeit von uns Ökonomen – die Wechselkursprognose im EUR/CHF. Danke, SNB!