In unserer Prognose zum Schweizer Wirtschaftswachstum unterstellen wir seit Längerem, dass die 39 % nicht dauerhaft bestehen bleiben, sondern gegen Jahresende auf 15 % gesenkt werden. Das heisst nicht, dass wir Trumps Verhalten prognostizieren können. Und auch heute ist unklar, ob wirklich ein „Deal“ kommt. Unsere Prognose ist schlicht mechanistisch: «What goes up goes down». Ein global extrem hoher Zollsatz fällt mit höherer Wahrscheinlichkeit, als dass er steigt oder gleich bleibt. Umgekehrt steigt ein unterdurchschnittlicher Zollsatz eher. «Mean Reversion» als nüchterne, transparente Strategie im Umgang mit etwas so Disruptivem wie Trump.
Wir machen aber unsere Hausaufgaben zur Beantwortung der Gretchenfrage «Deal or no deal?»: Fakten, Daten, Theorien – sowohl stützend als auch widerlegend.
Handel:
Der Handelsbilanzüberschuss Schweiz–USA schwankt stark, weil Trump Gold einrechnet. Die Schweiz schmilzt Gold nur von einem Handelsformat ins andere um (US- oder UK-Börse). Je nach Ort des physischen Bedarfs verschieben sich die Flüsse. Im August und September war die Handelsbilanz zwischen der Schweiz und der USA aufgrund reger Goldflüsse nahezu ausgeglichen – Trump könnte dies als Erfolg seiner Zollpolitik verbuchen. Im Mai war der Saldo aus US-Sicht sogar derart positiv, dass gemäss US-Formel ein Zoll von –44 % für die Schweiz resultiert hätte.
«Write your counterparty’s victory speech» ist ein Kernelement moderner Verhandlungsführung: Der Abschluss gelingt dann, wenn die Gegenseite glaubwürdig behaupten kann, gewonnen zu haben. Die jüngsten Handelszahlen liefern – in mehreren Monaten zumindest – genau das Rohmaterial für eine solche Rede.
Es gibt aber auch handfeste wirtschaftliche Gründe. Die Handelstheorie besagt, dass der Handel bei Gütern mit extrem hohen Zöllen zurückgeht. Genau das zeigt sich: Der Schweizer Handelsbilanzüberschuss – ohne Pharma und ohne Gold, welche beide von Zöllen ausgenommen sind – sinkt seit August deutlich. Nach US-Zollformel läge der Satz auf Basis der Handelsbilanz dieser Güter im August und September bei noch rund 20 %.
Selbst Finanzminister Scott Bessent erwartet eine solche wirtschaftliche Anpassung und politische Reaktion: „Die Zölle werden wieder schmelzen wie Eisblöcke.“
Politisch-juristische Ebene:
Hoffnung liegt auch in der US-Justiz. Die Zölle stützen sich auf ein Notstandsgesetz von 1977, den International Emergency Economic Powers Act (IEEPA). Dieses erlaubt präsidiale Dekrete ohne Kongress – aber nur im echten Krisenfall. Trump erklärte ein Handelsungleichgewicht zum nationalen Notstand und leitete daraus seine Befugnis ab, breit angelegte Zölle zu verhängen. Selbst die IEEPA erlaubt aber nur «regulierende Massnahmen» und keine Steuern (was Zölle ökonomisch wohl sind).
Mehrere Kläger – von kleinen Unternehmen bis zu Bundesstaaten – zogen vor die Gerichte. Unterinstanzen urteilten wiederholt, dass Trump diese Befugnis nicht hatte und dass Zölle Steuern sind. Wie der Fall letztlich ausgeht, ist für mich offen. Auffällig bleibt jedoch Trumps argumentative Inkonsistenz: öffentlich werden die Zölle als Zolleinnahmen gefeiert, vor dem Supreme Court dagegen als „Importregulierung zur Bewältigung eines Notstands“ verteidigt – ob das aufgeht?.
Wie gehen wir mit dieser Fülle an Unprognostizierbarkeiten um?
Wir arbeiten in Szenarien und sind vorbereitet, die Prognose anzupassen, falls die simple Mechanik (bzw. der Deal) nicht eintritt. Sollten die 39 % doch Bestand haben, kostet das jährlich rund –0.3 Pp Wachstum.
Was können Exporteure tun?
Kurzfristig leider nicht viel. Ökonomisch ist die wichtige Frage aber nicht, ob ein Zoll existiert, sondern ob man ihn tragen muss. Die Antwort darauf hängt an der Substituierbarkeit. Je geringer sie ist, desto grösser die Verhandlungsmacht des Exporteurs. Also runter mit der Substituierbarkeit. Ich weiss, einfacher gesagt als getan. Aber Realität ist, dass Schweizer Exporte sich allen schon wegen des starken Frankens nicht auf preisliche Vorteile verlassen können. Und neu kommen noch Zölle dazu. Eine enorme Herausforderung ohne einfache Patentrezepte.
Pharma:
Wie geringe Substituierbarkeit geht, zeigt die Pharmaindustrie. Deshalb gibt es dort keine Zölle. Zurücklehnen ist aber nicht angesagt, Trump setzt andere Hebel an. Mehr zur Pharmaindustrie kommende Woche von unserem Pharmaexperten Michael Grass.
Binnenwirtschaft und Staat:
Es tönt angesichts aller Unsicherheiten ironisch, aber für die Binnenwirtschaft gibt es derzeit zahlreiche „sichere Prognosen“: starker Franken, tiefe Inflation, tiefe SNB-Zinsen, rege Zuwanderung. Die tiefen Zinsen stützen die Bauwirtschaft, und der knappe Platz treibt die Preise. Die rege Zuwanderung trägt den Konsum.
Zurück zur Grundfrage: Deal or no deal?
Klare Antworten habe ich keine, aber es gibt Strategien, wie sich auch ohne solche planen lässt.
Was ich hingegen habe, ist eine klare Meinung zu Trumps Zollstrategie.
Erstens eine ökonomische: Zölle sind Sand im Getriebe des Welthandels, und trotz KI-Boom sollte uns zu denken geben, dass der Welthandel rückläufig sein wird. Der Handel hat die Schweiz reich gemacht. Zudem belastet die Unsicherheit die Investitionen. Die Zeit der Globalisierungsdividende ist definitiv vorbei – und das erzeugt nur Verlierer. Beispiel USA: Der Trend zum Stellenabbau in der Industrie hat sich zuletzt sogar verstärkt. In den Monaten nach dem Liberation Day blieb die Schaffung neuer Industriearbeitsplätze hinter den Werten von 2024 zurück; in den ersten acht Monaten hat der Sektor rund 78’000 Stellen eingebüsst.
Zweitens eine Verhandlungstheoretische: Da muss man Trump loben. Er greift erfolgreich zur «Ankerung» – einem weiteren Baustein der Verhandlungstechnik: Einstieg bei 39 %, Rückzug auf 15 %. Ohne den absurden Anker würden ein Wert von 15 % nie als Erfolg gefeiert werden.
Drittens eine fiskalische: Zölle sind attraktiv – zumindest für Politiker. Trumps Zollerhöhungen bringen hochgerechnet rund 350 Mrd. Dollar pro Jahr, bei einem global durchschnittlichen Zollsatz von derzeit 17.7 %. Das entspricht zwar nur einem Fünftel des US-Haushaltsdefizits von 1’900 Mrd. Dollar und rund 1.2 % der US-Wirtschaftsleistung. Doch relativ zur Wirtschaftsleistung sind diese Einnahmen vergleichbar mit den Vermögensteuern des Bundes in der Schweiz.
Mein Fazit: Moderate Zölle von rund 15 % werden die USA beibehalten wollen – ähnlich wie die Vermögenssteuer in der Schweiz. Und das wohl auch über einen Regierungswechsel hinaus. Eine gesetzliche Grundlage wird sich dafür finden. Das Ausland wiederum wird diese 15 % kaum infrage stellen oder sogar erleichtert sein, wenn man sie zumindest erhält.
Damit gilt: Mindestens die 15 % bleiben glaubwürdig und wohl länger bestehen. Dies haben wir entsprechend in unseren Prognose unterstellt.
Doch, eigentlich sagt die Spieltheorie etwas anderes: Wenn Trumps Strategie darin besteht, über maximale Drohkulisse 15 % zu normalisieren, ist es für Nicht-US-Länder rational, selbst diese 15 % zu hinterfragen – statt sie als «kleineres Übel» zu akzeptieren.
Kurz: Nimm 2 statt Nimm 15.
