Steuern kommen – und gehen selten
Der Eigenmietwert wurde 1934 per Notrecht als «eidgenössische Krisenabgabe» zur Gesundung des Bundeshaushaltes eingeführt – ein zentrales Argument der Gegner für seine Abschaffung.
Der Befund ist korrekt. Aber: Jede Steuer ist irgendwann einmal als Notmassnahme eingeführt worden, weil der Staat Geld brauchte. Die Formen der Einnahmen verändern sich mit der Zeit.
Sogar Zölle kommen vor: So finanzierten sich die Kantone bis zur Gründung des Bundesstaates 1848 mit einer Mischung aus Abgaben, Zehnten und lokalen Zöllen. Mit der Bundesverfassung von 1848 erhielt der Bund das alleinige Zollrecht. Damit wurde der Zoll zur zentralen Einnahmequelle des jungen Bundesstaates. Im Schnitt stammten über 50 % der Bundeseinnahmen im 19. Jahrhundert aus. Heute sind die Zolleinnahmen verschwindend gering. 2022 nahm der Bund durch Agrarzölle etwas mehr als eine Milliarde Franken ein, was weniger als 0,5 % der Staatseinnahmen entspricht. In der Schweiz trauert wohl niemand dieser Veränderung nach.
Derweil ist die Wirtschaftsgeschichte voll mit «temporären» Einnahmen, die geblieben sind: Ein Klassiker ist die direkte Bundessteuer. Sie begann als Notmassnahme im Ersten Weltkrieg und überlebte alle ihre Befristungen. Auch die Automobilsteuer – ein Importzoll – wurde 1934 ursprünglich eingeführt, um in der Weltwirtschaftskrise kurzfristig die Bundeskasse zu füllen, gehört heute aber zum festen Inventar der Bundesfinanzen. Ähnlich verhält es sich mit der Verrechnungssteuer, die 1944 als Kriegsfinanzierungsinstrument lanciert wurde. Statt nach Kriegsende abzuschaffen, hat man sie behalten – und über die Jahrzehnte sogar ausgebaut. Auch in der Sozialpolitik zeigt sich die gleiche Logik: Die Arbeitslosenversicherung wurde in den 1920er-Jahren als Kriseninstrument geschaffen, entwickelte sich aber rasch zu einem permanenten Sozialwerk, das heute nicht mehr wegzudenken ist. Und schliesslich die Mehrwertsteuerzuschläge für AHV und IV: Auch sie wurden mit Verfalldatum beschlossen, aber praktisch immer verlängert oder gleich in den ordentlichen Mechanismus integriert.
Fazit: Steuern kommen – und gehen selten wieder.
Steuern sind «unfair»
Der Eigenmietwert sei unfair, heisst es. Fakt ist: Steuern sind immer irgendwie unfair. Sie nehmen dem Einzelnen Geld weg, damit alle – oder zumindest einige – profitieren. Das Geldwegnehmen widerspricht unserer liberalen Auffassung, doch herrscht auch ein gewisser Konsens, dass eine gemeinsame Klammer – der Staat – in gewissen Bereichen die Wohlfahrt aller steigert. Oder kurz: Niemand zahlt gerne, aber alle profitieren gerne.
Die Schweiz hat diesen Trade-off so gelöst, dass die Steuern gemäss Verfassung nach «wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit» erhoben werden.
Ein Staat kann unterschiedliche Faktoren besteuern: Konsum (Mehrwertsteuer), Arbeit (Lohnabzüge), Kapital (Einkommen, Vermögen), Transfers (Schenkungen, Erbschaften) oder den Handel (meist Importe; Exportsteuern sind selten). Zudem gibt es ein Blumenstrauss an alternativen Besteuerungsideen. Jede Steuerform bringt eigene Zielkonflikte:
- Konsumsteuern sind aus ökonomischer Sicht am wachstumsfreundlichsten, stehen aber im Clinch mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Eine Sozialhilfeempfängerin zahlt bei jedem Einkauf anteilsmässig mehr als eine Millionärin. Es gibt auch Konsumsteuern mit Lenkungsfunktion: Tabaksteuern sollen gleichzeitig den Konsum senken und Einnahmen sichern – zwei Ziele, die sich widersprechen.
- Einkommenssteuern sind die wichtigste Einnahmequelle und spiegeln wirtschaftliche Leistungsfähigkeit direkt wider. Aber Arbeit – etwas sozial und wirtschaftlich Erwünschtes – wird dadurch verteuert.
- Kapitalsteuern haben Nebenwirkungen auf das Wachstumspotenzial, zudem ist Kapital mobil und damit leicht ins Ausland verlagerbar. Deshalb wählt die Schweiz unterschiedliche Besteuerungsformen für Kapital.
- Vermögenssteuern treffen die Leistungsfähigkeit gut, sind aber mit Problemen verbunden: Liquiditätsengpässe («asset rich, cash poor»), oder Bewertungsfragen. Aktienkurse sind einfach zu ermitteln, der Wert eines KMU-Anteils schon schwieriger. Immobilienbewertungen sind kostspielig und liegen oft unter dem effektiven Marktwert.
- Handel: über Zölle haben wir hier schon viel geschrieben. Für kleine offene Volkswirtschaften sind Zölle nicht geeignet. Transaktionen werden bspw. auf dem Immobilienmarkt belastet, inklusive Abschöpfung eines Teils der Wertsteigerung beim Verkauf (Grundstücksgewinnsteuer).
- Alternative Steuern gibt es viele – von Finanztransaktions- bis zu CO₂-Abgaben. Doch die meisten Ideen sind entweder schwer umsetzbar, leicht umgehbar oder politisch nicht mehrheitsfähig. Ökonomen mögen grundsätzlich Steuern, die einfach zu erheben sind, wenig Nebenwirkungen haben und auf «unelastischen» Grundlagen liegen – also dort, wo sich die besteuerte Menge trotz Steuer kaum verändert.
Der Eigenmietwert ist in diesem Mix ein Konstrukt, um Immobilienbesitz zu besteuern. Dafür spricht die ökonomische Logik, inelastische und wenig produktive Güter zu besteuern. Auch der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird Rechnung getragen. Dagegen spricht das verfassungsmässige Ziel der Wohneigentumsförderung und die Einfachheit.
Fazit: Die Steuerwelt ist voller Zielkonflikte. Es gibt keine perfekte Steuer. In der Schweiz existiert eine Vielzahl von «schlechten Optionen», die zusammengenommen ein mehr oder weniger funktionierendes Ganzes ergeben. Und: Das System ist im Wandel und wird diskutiert – mit Mitbestimmung nicht nur bei den Einnahmen, sondern auch bei den Ausgaben. Das erhöht die Akzeptanz.
Unnatürliches Naturaleinkommen?
Der Eigenmietwert ist ein «Naturaleinkommen» – ein schwer fassbares Konzept, das entsprechend wenig Akzeptanz geniesst. Ein häufig gehörtes Gegenargument: Nach derselben Logik müsste auch «Nicht-Arbeit» besteuert werden. Wer nur 60 % arbeitet, müsste dann auf 100 % Lohn Steuern zahlen.
Das Argument ist nicht falsch. Freizeit kann durchaus als Naturaleinkommen betrachtet werden. Am deutlichsten wird dies, wenn ein Arbeitspensum für Kinderbetreuung reduziert wird: Der Haushalt spart die Kosten für externe Betreuung – ein geldwerter Vorteil und zahlt erst noch weniger Steuern.
Aber eine solche Steuer wäre voller Probleme:
- Leistungsfähigkeitsprinzip: Arbeitet jemand Teilzeit (oder gar nicht), weil er keine Vollzeitstelle findet, ist das Einkommen schlicht tiefer – eine fiktive Besteuerung wäre mit der Verfassung schwer vereinbar.
- Erhebungsbasis: Wenn kein Einkommen da ist, bleibt nichts zu holen. Beim Eigenmietwert gibt es immerhin eine Immobilie als Grundlage.
- Politische Mehrheitsfähigkeit: Eine «Hausfrauensteuer» oder «Freizeitsteuer» wäre im politischen Prozess chancenlos.
Fazit: Theoretisch korrekt hergeleitet, praktisch aber nicht umsetzbar. Nicht jedes Naturaleinkommen funktioniert in der Realität über Jahrzehnte.
Schafft der Eigenmietwert Anreiz für Verschuldung?
Oft heisst es, der Eigenmietwert schaffe Anreize für Schulden. Das ist verkürzt. Ob sich jemand verschuldet, hängt von den erwarteten Erträgen einer Anlage im Verhältnis zu den Kosten des Fremdkapitals ab. Diese Kosten sinken durch den steuerlichen Schuldzinsabzug, der eng – aber wie frühere Anläufe zur Abschaffung des Eigenmietwerts zeigen –, nicht 1 zu 1 an das Konstrukt des Eigenmieterwert gekoppelt ist. Theoretisch könnte auch ein Mieter Kredite aufnehmen, um Aktien zu kaufen (und er kann sogar gewisse Gestehungskosten steuerlich abziehen). Doch dort ist das Risiko sichtbarer als beim Immobilienmarkt, weshalb diese Praxis wenig verbreitet ist. Ökonomisch gilt: Hypotheken werden aufgenommen, wenn die Liquidität fehlt, aber die Tragbarkeit für einen Immobilienerwerb gegeben ist. Falls nicht, ist es Aufgabe der Banken, dies zu prüfen – und nicht ein Problem des Eigenmietwerts.
Take-away für die Abstimmung
Der Eigenmietwert ist ein historisch gewachsenes und politisch umstrittenes Instrument. Seine Vor- und Nachteile liegen auf der Hand: Einerseits ermöglicht er eine systematische Einbindung von Wohneigentum in die Steuerlogik, andererseits steht er im Spannungsfeld von Fairness, Akzeptanz, Wohneigentumsförderung und fiskalischer Stabilität. Ob er abgeschafft, reformiert oder beibehalten wird, ist letztlich eine Frage der politischen Abwägung.
Gut, können wir darüber abstimmen!