WAS WIRKLICH HINTER DEN PHARMA-INVESTITIONEN IN DEN USA STECKT

Gestern sprach Donald Trump von möglichen 200%-Zöllen auf Pharmaprodukte. Seit Monaten droht er der Pharmaindustrie und fordert mehr Produktion in den USA – und fast zeitgleich verkünden grosse Pharmakonzerne milliardenschwere Investitionen in den USA. Doch ist das wirklich Ursache und Wirkung? Und warum sind Zölle womöglich gar nicht das grösste Risiko für die hiesige Pharmaindustrie? Der Versuch einer Einordnung.

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Fast die Hälfte der globalen Pharmaumsätze werden in den USA erwirtschaftet, weniger als ein Viertel in Europa. Gleichzeitig generieren die USA aber nur etwa ein Drittel (32%) der globalen Wertschöpfung im Zusammenhang mit der Entwicklung und Herstellung von Medikamenten. In Europa liegt der Anteil mit 34% sogar noch über jenem der USA. Nachfrage und Angebot sind also disproportional verteilt. Das gilt insbesondere für die Schweiz mit einem Marktanteil von 0.6 % an der weltweiten Nachfrage, und einem Anteil von 5.0% an der globalen Wertschöpfung.

Es ist verständlich, dass die USA daran interessiert sind, ihren Anteil am Wertschöpfungskuchen zu erhöhen. Doch über die Frage, ob Zölle das geeignete Instrument dafür sind, lässt sich trefflich streiten. Die Tatsache, dass diese in den USA mit höheren Verbraucherpreisen und möglicherweise Versorgungsengpässen bei lebensnotwendigen Therapien einhergehen würden, nährt die Hoffnung, dass Trump  vielleicht doch nicht (so schnell) ernst macht mit den Zöllen. Doch ob er sich von dieser Rationalität leiten lässt, ist unsicher. Die Schweiz tut gut daran, möglichst schnell ein bilaterales Exportankommen mit den USA auszuhandeln, welches die Zollfreiheit von Pharma-Exporten in die USA sicherstellt. 

Die Mär von den Superkräften des Donald Trump

Trump  wird möglicherweise darauf verweisen, dass bereits seine Androhung von Zöllen einige grosse europäische Pharmaunternehmen dazu gebracht haben, hohe Investitionen in den USA zu tätigen. Und tatsächlich haben in den vergangenen Monaten alleine die vier Konzerne Roche, Novartis, Sanofi und UCB zusammen für die kommenden 10 Jahre Investitionen von rund 100 Milliarden US Dollar in US-Standorte angekündigt. 

Trump mag daran glauben, dass diese Entwicklungen auf seine präsidiale Superpower zurückzuführen sind. Objektiv betrachtet spricht aber viel mehr dafür, dass die Entscheidungen der Unternehmen von langer Hand geplant sind und von ganz anderen strategischen Überlegungen geleitet wurden. Denn es gibt eine Reihe von anderen Gründen, warum es in den nächsten 10-20 Jahren einen geographischen Shift in der globalen Pharmaproduktion geben wird, von dem vor allem US-Standorte profitieren werden. 

Tektonische Verschiebungen in der globalen Pharmaproduktion

Einer der wichtigsten Gründe für die Verlagerung der Produktion in Richtung der Absatzmärkte besteht darin, dass neue, innovative Biotech-Medikamente und Therapien zunehmend in der Nähe des Patienten hergestellt werden, um einen schnelleren Zugang zu zeitkritischen Therapien zu ermöglichen. Beispiele hierfür sind CAR-T-Cell- oder Lab-on-a-Chip-Technologien in klinikeigenen Produktionszentren. Neben diesen technologischen Veränderungen tragen auch regulatorische Faktoren (unterschiedliche Gesundheitssysteme, komplexe und unterschiedliche Regulierungen) oder das Thema Lieferketten-Resilienz zur Regionalisierung der Produktion bei.

Ganz ohne Einfluss ist natürlich die Handelspolitik nicht. Sollten die USA tatsächlich substanzielle Zölle auf Pharmaprodukte einführen, wäre das sicherlich ein Katalysator für die ohnehin stattfindende strategische Ausweitung der Produktionskapazitäten in den USA. 

Was bedeutet die beschriebene Entwicklung der Regionalisierung für Europa? Droht in den nächsten Jahren ein Kahlschlag der Pharmaindustrie? Nein! Denn erstens weist der europäische Markt in absoluten Zahlen bis 2040 hinter den USA das zweithöchste Umsatzwachstum auf. Zweitens brauchen solch grundlegende Veränderungen in den globalen Produktionsnetzwerken viel Zeit. Für den Ausbau der Produktion in den USA müssen die US-Kapazitäten erheblich ausgebaut werden. Hierfür braucht es neben beträchtlichen Finanzvolumina für die Erstellung neuer Fertigungskapazitäten auch jede Menge hochqualifiziertes Personal, das möglichweise gar nicht so schnell gefunden werden kann. Die USA ist in den vergangenen Monaten nicht gerade attraktiver geworden für Fach- und Spitzenkräfteaus dem Ausland. 

Darüber hinaus könnte ausgerechnet eine andere politische Initiative von Trump die Rentabilität von Investitionen an US-Standorten unattraktiver machen. Die Rede ist von den Bestrebungen, die Preise für pharmazeutische Produkte spürbar zu senken. Pro Einwohner sind die Pharmaumsätze in den USA rund viermal so hoch wie in Europa. Das hat damit zu tun, dass US-Bürger erstens mehr Medikamente konsumieren und zweitens diese deutlich teurer sind als in den USA. 

Die höheren Preise haben verschiedene Ursachen: Das Gesundheitssystem ist fragmentiert, es gibt keinen zentralen Einkäufer, und die Pharmaunternehmen können die Preise für neue und bestehende Medikamente weitgehend frei festlegen. Der Einfluss der US-Regierung auf die Preise beschränkt sich auf eine geringe Anzahl von Medikamenten, über deren Preise die bundesstaatliche Krankenversicherung Medicare seit 2023 direkt mit den Herstellern verhandeln kann. 

Trumps Plan: Most Favored Nation (MFN) 

Trump hat angekündigt, in seiner zweiten Amtszeit das Thema Preisregulierung angehen zu wollen. Und das könnte für die Pharmaunternehmen deutlich schmerzhafter werden als die Einführung von Zöllen. Trumps Ziel ist die Einführung des sogenannten «Most Favored Nation» (MFN)-Ansatzes. Die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente könnten dann in den USA auf das Niveau des niedrigsten Preises unter den Ländern mit mindestens 60 % des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf sinken.

Die Auswirkungen für Pharmakonzerne wären fatal: Viele verdienen bis zu zwei Drittel oder mehr ihrer weltweiten Gewinne auf dem US-Markt. Analysten gehen davon aus, dass die Gewinne der Pharmafirmen um 30–50 % sinken könnten, wenn der MFN-Ansatz breit und konsequent umgesetzt würde. Wären nur die wichtigsten 50 Produkte betroffen, käme es zu einem Gewinnrückgang von 6-10%.

Um die eigenen Margen zu schützen, könnten Pharmaunternehmen versuchen, die Preise in Europa und anderen Ländern anzuheben, um dort einen Teil des Gewinnrückgangs zu kompensieren und gleichzeitig die Referenzpreise für die USA zu erhöhen. Das dürfte die Verluste in den USA aber nur teilweise kompensieren. 

Diese Entwicklungen hätten sicherlich einen Einfluss auf die Investitionen in neue Produktionsanlagen in den USA, die mit den niedrigeren Preisen deutlich weniger rentabel wären. Auch für die Finanzierung von F&E-Aktivitäten stünden deutlich weniger Mittel zur Verfügung, was sich negativ auf die Innovationskraft auswirken würde. 

Die politische Umsetzung des MFN-Ansatzes ist aber keineswegs einfach, und Trump ist damit bereits in seiner ersten Amtszeit gescheitert. Bei einer Einführung im grossen Stil ist mit massiven Klagen der Pharmaindustrie zu rechnen, welche die Umsetzung verzögern oder ganz verhindern könnten. Um sein Wort gegenüber Wählern zu halten, wird Trump möglicherweise zunächst auf wenige besonders teure Medikamente abzielen. Doch auch hierfür gibt es erhebliche rechtliche und praktische Unsicherheiten.

Wie geht es weiter?

Ob Zölle oder Preisregulierung, die bisherige Erfahrung lehrt uns eines: es kann jeden Tag passieren – und am nächsten Tag wieder aufgehoben oder geändert werden. Momentan heisst es weiter: Warten auf Trump. Vielleicht nur noch bis morgen.


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