Handelsdefizit als Trump’sches Feindbild
Donald Trump betrachtet Handelsbilanzdefizite als unfair. Diese Ansicht teile ich nicht, wie ich in einem früheren Blogbeitrag speziell für ihn dargelegt habe (Dear Mr. President). Offenbar hat er ihn nicht gelesen. Wirtschaftswissenschaften sind ohnehin eine trockene Materie, und diese Woche wird es noch technischer: Es geht um die Frage, wie Exportströme überhaupt erfasst werden – ein scheinbar banales, aber hoch relevantes Thema.
Ein Blick auf verschiedene Datenquellen zeigt nämlich teils erhebliche Unterschiede. Ein prominentes Beispiel ist die Pharmaindustrie, die Trump jüngst explizit erwähnt hat und die für die Schweiz von grosser Bedeutung ist. Laut der United Nations Commodity Trade Statistics Database (UN Comtrade) exportiert die Schweiz jährlich Pharmagüter im Wert von rund 30 Mrd. USD in die USA. Doch die US-Importstatistiken zeigen nur Einfuhren im Wert von 17 Mrd. USD aus der Schweiz. Wie kann das sein?
Die Antwort auf diese Frage ist brisant, denn, wenn man nach Trumps Logik geht – wonach Importe in die USA „unfair“ sind – dann zieht die Schweiz die USA je nach Betrachtungsweise der Statistik entweder stark oder aber nur wenig „über den Tisch “.
Ein globales Phänomen: Abweichungen in den Statistiken
Wer genauer in der UN Comtrade Datenbank sucht, stellt fest, dass diese Diskrepanz kein rein schweizerisches Phänomen ist. Auch Deutschland verzeichnet Unterschiede von mehr als 8 Mrd. CHF zwischen seinen Pharmaexporten in die USA und den von den USA registrierten Pharmaimporten aus Deutschland. Und es bleibt nicht nur beim Handel mit den USA:
- Schweiz – Slowenien: 2022 importierte die Schweiz Pharmagüter im Wert von 6,5 Mrd. USD aus Slowenien, während Slowenien Exporte im Wert von 10,9 Mrd. USD in die Schweiz meldete.
- Japan – USA: Japanische Statistiken weisen höhere Fahrzeugexporte in die USA aus, als die US-Statistiken an japanischen Importen ausweisen.
- China – EU: Chinesische Exportdaten zeigen häufig grössere Werte als die korrespondierenden Importzahlen europäischer Länder.
Besonders auffällig und relevant für die Schweiz sind die Unterschiede indes in der Pharmaindustrie. Sie sind nicht nur statistisch am grössten, sondern auch politisch besonders brisant – nicht zuletzt wegen der hohen Aufmerksamkeit, die Trump diesem Sektor widmet.
Doch selbst über alle Branchen hinweg zeigt die Schweizer Aussenhandelsstatistik eine systematische Abweichung von rund 10 % zwischen Exporten und Importen.
Warum entstehen diese Diskrepanzen?
Ein zentraler Grund für diese Unterschiede ist die Art und Weise, wie Exporteure das Bestimmungsland ihrer Waren angeben. In der Schweiz sind Unternehmen verpflichtet, das letzte bekannte Endbestimmungsland anzugeben. Das kann zu Verzerrungen führen:
- Beispiel Distributionszentren: Ein in der Schweiz hergestelltes Medikament wird erst in ein europäisches Verteilzentrum – etwa in die Niederlande – exportiert, bevor es von dort in die USA gelangt. Die Schweizer Statistik weist die USA als Ziel aus, doch die US-Zahlen erfassen die Niederlande als Ursprungsland.
Neben dieser Bestimmungsland-Problematik gibt es weitere Ursachen für Abweichungen:
- Zeitliche Verzögerungen: Aufgrund von Lagerhaltung und Distributionsprozessen tauchen Exporte erst Monate später als Importe auf.
- Unterschiedliche Bewertungsmethoden: Die USA erfassen Importe meist auf C.I.F.-Basis (inklusive Transport- und Versicherungskosten), während Exporte oft F.O.B. (ohne diese Zusatzkosten) deklariert werden.
- Tochtergesellschaften und Hubs: Multinationale Konzerne betreiben zentrale Logistikzentren, wodurch sich der ursprüngliche Herkunftsort der Waren oft verliert.
Fazit: Wer mit Zahlen argumentiert, sollte ihre Grenzen kennen
Die Diskussion über Handelsbilanzen zeigt, dass Aussenhandelsstatistiken weit mehr sind als blosse Zahlenkolonnen. Sie beruhen auf Definitionen, Erfassungsmethoden und wirtschaftlichen Gegebenheiten, die oft übersehen werden.
Gerade in Zeiten wirtschaftspolitischer Spannungen, wie während Trumps Handelskriegen, ist es essenziell, sich nicht nur auf absolute Zahlen zu verlassen, sondern die dahinterliegenden Mechanismen zu verstehen. Eine exakte Abbildung globaler Handelsströme bleibt eine Herausforderung – doch nur mit einem fundierten Verständnis dieser Statistiken lassen sich realitätsnahe wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen.
Oder, um es mit einer einfachen Regel zu sagen: Nur was korrekt gemessen wird, kann verbessert werden.