Die Zinsen sinken. Überall? Nein, in den USA sind die Zinsen auf 10-jährige Staatsanleihen trotz Fed-Zinssenkungen jüngst deutlich angestiegen. Diese Entwicklung sorgt weltweit für Nervosität. Zu Recht, wie der Blick in die Vergangenheit zeigt: 1994 führten stark steigende US-Zinsen zu einem globalen Anstieg der Zinskosten um mehr als ein Drittel – harte Sparmassnahmen waren die Folge.
Damals sagte der Berater des US-Präsidenten Bill Clinton, James Carville: „Früher dachte ich, wenn es Wiedergeburt gibt, wollte ich als Präsident, Papst oder ein .400-Baseball-Schlagmann zurückkommen. Aber jetzt würde ich als US-Anleihemarkt zurückkommen wollen. Damit kann man jeden einschüchtern.“
Die Auswirkungen steigender Zinsen
Steigende Zinsen machen Anleihen attraktiver als Aktien, mindern die heutigen Werte zukünftiger Unternehmensgewinne und erhöhen Kreditkosten, was die Innovationsfähigkeit hemmt. Immobilienbesitzer zahlen höhere Hypothekenzinsen, und der Wert von Immobilien sinkt. Zusätzlich führen höhere US-Zinsen oft zu Kapitalabflüssen aus Schwellenländern, was deren Finanzierungskosten erhöht und durch den meist stärkeren US-Dollar Schulden in USD verteuert.
Das immense Volumen von US-Staatsanleihen
Allein schon die Dimensionen sind beeindruckend: Täglich werden US-Staatsanleihen im Wert von fast 900 Milliarden Franken gehandelt. Das gesamte ausstehende Volumen beträgt rund 27 000 Milliarden Franken und steigt weiter an. Die USA sind mit rund 50 Prozent des globalen Umlaufvolumens der bedeutendste Emittent von Staatsanleihen.
Die Grenzen der Fed: Steuerung von Anleihenzinsen
Selbst eine mächtige Institution wie die US-Notenbank (Fed) kann den Zinssatz für US-Staatsanleihen nicht kontrollieren. Seit September hat die Fed den Leitzins gesenkt, doch die Renditen zehnjähriger Anleihen stiegen im gleichen Zeitraum um mehr als 100 Basispunkte von 3,3 auf über 4,6 Prozent. Dieser starke Anstieg trotz Leitzinssenkung ist seit 40 Jahren beispiellos.
Was die Zinsen beeinflusst: Bestandteile im Detail
Zinsen setzen sich vereinfacht aus drei Bestandteilen zusammen:
• Realzins: Eine Prämie für das Ausleihen von Geld.
• Inflationsprämie: Ein Ausgleich für den Kaufkraftverlust des Geldes.
• Risikoprämie: Eine Absicherung gegen finanzielle Unsicherheiten.
Die Inflationsprämie: Eine klare Messgrösse
Inflationsprämien lassen sich durch inflationsgeschützte Anleihen relativ leicht bestimmen. Derzeit liegt die Inflationsprämie bei 2,2 Prozent, nach 1,6 Prozent im September. Etwa 0,6 Prozentpunkte des jüngsten Zinsanstiegs lassen sich durch steigende Inflationserwartungen erklären. Kritiker warnen jedoch vor einer Unterschätzung des rapiden Anstiegs der Erwartungen. Die Fed muss wachsam bleiben, um die Inflationserwartungen fest verankert zu halten.
Der Realzins und die Produktivität
Der Realzins sollte langfristig dem Produktivitätswachstum entsprechen. Dieses kann steigen, wenn bessere Technologien verwendet werden. In den USA könnten Faktoren wie Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz dazu beitragen. Dennoch bleibt fraglich, ob diese Entwicklungen seit September einen deutlichen Anstieg des Realzinses rechtfertigen.
Die Risikoprämie: US-Staatsanleihen als unsichere Sicherheit
Obwohl US-Staatsanleihen oft als risikolos gelten, ist dies nicht absolut. Der Markt scheint zu erkennen, dass selbst die USA langfristig ihre Schuldenproblematik adressieren müssen. Bereits in den 1980er-Jahren prägte der Ökonom Ed Yardeni den Begriff der „Bond Vigilantes“ – unsichtbare Marktkräfte, die auf unsolide Haushaltspolitik reagieren und Zinsen in die Höhe treiben.
Die Wiederkehr der Bond Vigilantes
In der Niedrigzinsphase schienen die Vigilantes in Vergessenheit zu geraten. Doch jetzt sind sie zurück. Ein prominentes Beispiel: Im September 2022 kündigte die britische Premierministerin Liz Truss Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung an. Die Renditen britischer Staatsanleihen schossen daraufhin in die Höhe, und Truss musste zurücktreten – nach der kürzesten Amtszeit eines britischen Premierministers in der Geschichte.
Ein Jahrzehnt der Schuldenwirtschaft
Die Schuldenproblematik verlagert sich zunehmend weg von kleineren Ländern wie Griechenland hin zu Grossmächten wie den USA. Mit einem Defizit von 7 Prozent des BIP – ausserhalb von Kriegen oder Pandemien fast beispiellos – sind die USA ein Hauptakteur in der globalen Verschuldungsdebatte. Diese Dynamik wird die politische und wirtschaftliche Landschaft der nächsten Jahre prägen.
Trump der neue Truss?
Die „Bond Vigilantes“ scheinen Trump den Fehdehandschuh hingeworfen zu haben. Ob Donald Trump es schafft, sie zu besänftigen, bleibt abzuwarten. Eines ist jedoch sicher: Die Finanzwelt wird weiterhin mit Spannung auf die US-Staatsanleihen blicken. Der Blick nur auf das neue Jahr greift dabei sicherlich zu kurz! Happy 2035!